- 4. August 2016
- Veröffentlicht durch: admin
- Kategorie: Sprachwissenschaft
Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.
Diese Worte des Philosophen Ludwig Wittgenstein bringen ein von einigen Wissenschaftlern untersuchtes Phänomen zum Ausdruck: Sprache ist anscheinend viel mächtiger und bedeutungsvoller für unser Leben, als wir bisher vermutet haben. So gehen heute einige Sprachforscher davon aus, dass die Sprache, mit der wir aufgewachsen sind uns stark beeinflusst: Sie formt unser Denken und unsere Sicht auf die Welt. Mancher geht außerdem auch so weit zu sagen, dass unsere Muttersprache sogar unser Verhalten und unsere Fähigkeiten entscheidend prägt.
Von Farben, Familie und Aborigines
Ein Beispiel hierfür ist die Fähigkeit verschiedener Sprachen, Farben zu unterscheiden. Während das Deutsche beispielsweise imstande ist, nicht nur zwischen grün und blau, sondern auch noch zahlreiche Farbschattierungen dazwischen zu unterscheiden, so gestaltet sich dies in anderen Sprachen vollkommen anders. In Guaraní, einer in Paraguay verbreiteten Sprache, bezeichnet der Ausdruck „hovy“ sowohl blau als auch grün zugleich. Eine Unterscheidung findet nicht statt. Das Walisische kennt die Farbe „glas“, das sowohl einen Blauton, die Farbe des Meeres, des Grases oder auch einen bestimmten Silberton näher beschreiben kann. In solchen Fällen kommt es immer auf den Kontext an. Sprecher der einen oder der anderen Sprache werden aber Farben jeweils immer anders wahrnehmen, da ihre Muttersprache eine bestimmte Interpretation nahelegt.
Aber auch in anderen Kontexten können Sprachen das Denken ihrer Sprecher formen: Während viele Sprachen zum Beispiel für das Wort „Onkel“ nur einen Ausdruck kennen, existieren dafür in Mandarin mehrere unterschiedliche Wörter. So muss der chinesische Sprecher genau überlegen, ob es sich beim erwähnten Onkel um einen Verwandten mütterlicher- oder väterlicherseits handelt, ob dieser vielleicht angeheiratet oder ein jüngerer oder älterer Bruder des entsprechenden Elternteils ist. All diese Informationen und Familienbeziehungen müssen dem Sprecher stets bewusst sein, da die Sprache zu dieser exakten Unterscheidung zwingt.
Ein anderes Beispiel ist Kuuk Thaayorre, eine von australischen Aborigines gesprochene Sprache, die gänzlich ohne räumliche Bezeichnungen wie „rechts“ oder „links“ auskommt. Stattdessen werden die Himmelsrichtungen verwendet. Und so merkwürdig uns dies auch erscheinen mag, in der Sprache (und somit auch der Denkweise) der Aborigines ist es völlig normal, zum Beispiel einen Becher „nordwestlich“ vom Teller abzustellen. Aufgrund dieser Unterscheidung müssen sich die Sprecher des Kuuk Thaayorre auch ständig ihrer eigenen Position und ihrer räumlichen Orientierung bewusst sein. So können sie, selbst in geschlossenen und unbekannten Gebäuden, zielsicher die Himmelsrichtungen zuordnen. Schließlich verlangt ihre Muttersprache genau dies von Kindesbeinen an.
Sprache beeinflusst sogar unsere finanziellen Entscheidungen
Keith Chen, ein US-amerikanischer Wirtschaftsprofessor der Universität Yale, hat sich der Thematik noch näher gewidmet. Er untersuchte in 76 Ländern sowohl die Sprache, als auch die Lebensgewohnheiten der Menschen und kam zu einem erstaunlichen Schluss: Sprache beeinflusst Menschen im Umgang mit finanziellen Entscheidungen und ihren Ersparnissen.
Dieses Phänomen hat laut Chen unter anderem auch damit zu tun, ob eine Sprache eine grammatikalische Zukunftsform kennt oder nicht. Während man im Englischen sagt: „It WILL rain tomorrow“ (=Es WIRD morgen regnen), so gibt es beispielsweise im Finnischen keine solche zukunftsorientierte Konstruktion. Chen fand heraus, dass in jenen Ländern, in deren Sprache keine Zukunftsform vorhanden ist, signifikant mehr Geld gespart wurde, die Rentenvorsorge eine wichtigere Rolle spielte und mehr auf eine gesunde Lebensführung geachtet wurde. Die Länder, deren Sprachen eine grammatikalische Zukunftsunterscheidung kennen, schnitten hier um einiges schlechter ab. Chen führt dies auf folgende Hypothese zurück: Die Sprecher einer „zukunftslosen“ Sprache nehmen Gegenwart und Zukunft als eine Einheit wahr, während Menschen mit „zukunftsorientierten“ Sprachen hier eine deutliche Trennung zwischen Gegenwart und Zukunft spüren. Diese gedachte Trennung führe dann dazu, dass viele Entscheidungen, finanzielle Entbehrungen durch Sparen und eine gesunde Lebensweise oft in die ferne, unbestimmte Zukunft verschoben werden, da sich diese unwirklich und nicht greifbar anfühlt. Wenn Menschen aufgrund ihrer Muttersprache aber Gegenwart und Zukunft als Einheit wahrnehmen, so zeigen sie sich viel stärker dazu bereit, sich um ihr Wohlbefinden in der Gegenwart genauso zu kümmern, wie um das der Zukunft. Daher werden dann sofort die entsprechenden Maßnahmen getroffen.
Auch wenn in diesem Bereich sicher noch viel weitergeforscht werden wird, so ist aber der Gedanke schon wirklich bemerkenswert, wie machtvoll Sprache doch sein kann! So verdanken wir unserer Muttersprache scheinbar noch viel mehr, als wir je geahnt hätten.