- 15. Februar 2017
- Veröffentlicht durch: admin
- Kategorien: Sprachgeschichte, Sprachwissenschaft
Wer glaubt, dass seine Muttersprache besonders „rein“ und ohne große Beeinflussung von anderen Sprachen auskommt, sollte dies noch einmal überdenken. Denn viele Wörter, von denen man glaubt, sie gehören zu der Sprache, wurden in Wirklichkeit vor einiger Zeit aus einer anderen Sprache übernommen und entsprechend angepasst. Diese Anpassung nennt man „Entlehnung“, im Englischen „borrowing“ genannt, was aber irreführend ist, da die „geliehenen“ Wörter nicht wieder zurückgegeben werden, sondern mit der Zeit fester Bestandteil der jeweiligen Sprache werden.
Die deutsche Sprache beinhaltet sehr viele Lehnwörter. Auch Wörter, von denen man kaum geahnt hat, dass sie nicht ursprünglich aus dem Germanischen stammen.
Nehme man einmal das deutsche Wort „Fenster“: es stammt aus dem lateinischen „fenestra“. Das Wort wurde übernommen und so angepasst, dass es grammatikalisch und orthografisch zur deutschen Sprache passte. Ursprünglich hieß das Fenster im Germanischen „Windauge“ (vgl. eng. “wind-ow”, dän. “vindue” -> altnord. “vindauga”), welches aber komplett aus dem Deutschen verschwunden ist. Dies und andere Entlehnungen tauchen zuhauf im Deutschen vor, ohne dass dem Sprecher bewusst wäre, dass sie aus einer anderen Sprache stammen.
Eine Entlehnung entsteht im Kontakt zwischen zwei Sprachen. Dabei nennt man die Sprache, die ein Wort aus einer anderen Sprache übernimmt und anpasst Nehmersprache, diejenige, aus der das Wort entlehnt wird, ist die Gebersprache.
Lehnwörter entstehen meist aus eben jenem Grund, dass zu neuen Gegenständen, Erfindungen oder Entdeckungen noch kein passender Begriff existiert.
Bleibt man einmal im Deutschen, entdeckt man in der Sprache viele Entlehnungen aus den verschiedensten Sprachen. Nicht bloß aus dem Lateinischen, sondern aus vielen anderen Sprachen; teilweise aus Sprachen, bei denen man das am wenigsten erwarten würde, wie etwa aus dem Indischen („Punsch“ – aus „pāñc“, oder „Dschungel“ aus „jaṅgal“), aus dem Chinesischen („Ketchup“ – aus „qiézhī“). Oder auch aus dem Englischen: obwohl Englisch eng mit dem Deutschen verwandt ist, und sich aus dem Germanischen entwickelt hat, sind teilweise „rein englische“ Wörter entstanden, die dann wiederum als Entlehnungen ihren Weg ins Deutsche gefunden haben, wie etwa „Quiz“.
In welchen anderen Formen tauchen Wörter aus Fremdsprachen in einer Sprache auf
Man sollte Lehnwörter allerdings nicht mit Fremdwörtern verwechseln. Diese werden nämlich fast unverändert aus einer anderen Sprache übernommen und sind als solche zu erkennen. Sie dienen der Sprache meist nicht dazu, einen Begriff für etwas zuvor unbekanntes zu haben. Sie besitzen oftmals ein Synonym in der jeweiligen Sprache, werden aber dennoch benutzt, weil sie der genaueren Beschreibung dienen (oder vielleicht einfach besser klingen). „Phänomen“ zum Beispiel ist ein Fremdwort aus dem Altgriechischen, fainómenon, welches man als „Vorkommnis“ oder „Erscheinung“ übersetzen kann. Diese beiden deutschen Begriffe passen aber nicht ganz zu dem, was mit „Phänomen“ eigentlich gemeint ist.
Also kann man sagen: ein Lehnwort ist entstanden, um einen Begriff für etwas Neues zu haben, und wurde zudem an die Nehmersprache angepasst, ein Fremdort dagegen bleibt weitestgehend in seiner ursprünglichen Form und dient eher der genaueren Beschreibung einer Sache, die mit Begriffen der eigenen Sprache nicht ganz erreicht werden kann.
Man sollte außerdem nicht den Fehler machen, Scheinentlehnungen für Lehnwörter zu halten: ein fremd klingendes Wort, das jedoch kein Fremdwort ist, sollte nicht automatisch für ein Lehnwort gehalten werden. Scheinentlehnungen werden aus Wörtern, oder Wortteilen einer anderen Sprache neu geschaffen. Ein sehr bekanntes Beispiel hierfür ist das deutsche Wort „Handy“. Es klingt wie eine Entlehnung aus dem Englischen, doch im Englischen sagt man „cell phone“, und das englische Wort „handy“ bedeutet so viel wie „praktisch“, was eher wenig auf die Bedeutung im Deutschen schließen lässt – außer dass ein Handy natürlich praktisch ist.
Neben den Lehnwörtern existieren auch die Lehnübersetzungen. Die Wörter bestehen dann zwar aus der eigenen Sprache, sie wurden allerdings aus zwei Wörtern zusammengefügt, genauso wie der entsprechende Begriff der Gebersprache. „Wolkenkratzer“ (Wolke + kratzen) wurde vom Englischen „skyscraper“ übersetzt.
Wörter, die jedoch zurückreichen auf die Ursprünge der Sprache, also im Fall vom Deutschen Wörter aus dem Altgermanischen oder später dem Althochdeutschen oder Mittelhochdeutschen, nennt man Erbwörter. Das sind Wörter, die von Anfang an zu der Sprache gehören, und nicht erst mit der Zeit aus einer anderen Sprache in diese übernommen wurden.
So wie die Deutsche Sprache viele Lehnwörter aus anderen Sprachen besitzt, finden sich auch viele Lehnwörter aus dem Deutschen in anderen Sprachen. Im Litauischen hat man beispielsweise das Wort „agurkai“, das aus „Gurke“ entlehnt wurde.
Sprachpurismus
Der Kontakt zu anderen Sprachen und Kulturen, der unweigerlich dazu führt, dass sich eine Sprache durch Lehn- und Fremdwörter entwickelt und verändert hat – und sich noch weiter verändert – wird zuweilen aber von manchen kritisiert. So hat Deutschland bereits einige Phasen hinter sich, in denen ein Versuch des Sprachpurismus unternommen wurde. Man hat bereits zu Zeiten der Aufklärung versucht – mehr oder minder Erfolgreich – deutsche Wörter zu entwickeln, die die Lehnwörter ersetzen sollten. Einige dieser Wörter, wie „Bücherei“ statt „Bibliothek“, „Rechtschreibung“ statt „Orthographie“ oder „Schreckensherrschaft“ statt „Terrorismus“ haben sich tatsächlich durchgesetzt. Wobei meistens beide Versionen weiter genutzt werden, sowohl das eingedeutschte als auch das entlehnte Wort. Teilweise haben sie einfach eine etwas andere Bedeutung erlangt, oder werden in unterschiedlichen Regionen gesprochen. Andere Versuche, Worte einzudeutschen blieben dabei eher erfolglos, wie etwa „Dörrleiche“ statt „Mumie“, „Zwangsgläubige“ statt „Katholiken“ oder „Menschenschlächter“ statt „Soldat“ – und vielleicht ist es auch besser so!
Ein weiterer Versuch wurde im 19. Jahrhundert unternommen, die deutsche Sprache zu „reinigen“, wofür der Allgemeine Deutsche Sprachverein gegründet wurde. Unter anderem hat man deutsche Wörter für den Eisenbahnverkehr kreiert. Dies war so erfolgreich, dass wir heutzutage nur noch „Fahrkarte“ statt „billet“ und „Bahnsteig“ statt „perron“ kennen.
Die Idee des Sprachpurismus wurde später zur Zeit des NS-Regimes nochmal aufgegriffen, fand aber keine Unterstützung bei den führenden Politikern, da sie fanden, dass Deutschland sich dadurch zurückentwickeln könnte. Außerdem klangen die Fremdwörter in den Nazireden natürlich schöner und wurden vom einfachen Volk teilweise nicht verstanden, sodass es leichter fiel, die politischen Ziele zu erreichen.
Auch heutzutage wird teilweise versucht, Anglizismen aus der deutschen Sprache zu verbannen – das allerdings mit wenig Erfolg.
Sprachpolitik in anderen Ländern außerhalb Deutschlands
Weit erfolgreicher war die puristische Bewegung in Island. In Island herrscht eine lange Tradition, in der die Sprache akkurat „gereinigt“ wurde und man sie weiterhin sorgfältig von fremdsprachlichen Einflüssen abschirmt.
Frankreich war bis vor kurzer Zeit ebenfalls sehr bemüht, Anglizismen aus der Sprache zu verbannen, um die Reinheit der französischen Sprache zu bewahren. So sollten mindestens 40 Prozent der im Radio gespielten Songs auf Französisch sein. Der Kulturminister Jacques Toubon hat 1994 sogar ein Gesetz erlassen, in dem es verboten war, Anglizismen zu verwenden. Das „Gesetz betreffend den Gebrauch der französischen Sprache“ bestand etwa zwanzig Jahre und wurde 2015, nachdem eine neue Kulturministerin ins Amt kam, wieder abgeschafft.
Letzten Endes gibt es ohnehin viele Anglizismen, die im Französischen übernommen wurden und nur schwer wieder abgeschafft werden können, daher war dieses Gesetz recht schwer in die Praxis umzusetzen.
Die Meinungen darüber, ob und wie weit eine Sprache von einer anderen beeinflusst werden sollte, gehen weit auseinander. Es ist natürlich wichtig, eine Sprache zu schützen, damit sie nicht irgendwann aufgrund zu starker Veränderungen ausstirbt. Auf der anderen Seite ist eine Sprache lebendig und die Veränderungen, die sie durch Einflüsse anderer Sprachen durchlebt, sind wichtig, damit sie sich entwickelt.
Wenn man den Einfluss anderer Sprachen nicht zugelassen hätte, würden wir uns in Deutschland heutzutage noch auf Altgermanisch unterhalten und könnten mit dem Wortschatz kaum mehr als über Ackerbau und unsere Körperteile reden. Das wären dann doch sehr einseitige Gespräche.